Stadt der Romantik

 
 
 

„Das versteckte Paradies“ nennt manch ein findiger Geist den Kurort Bad Berneck. So ganz Unrecht hat diese Bezeichnung nicht, zumindest ist sie keine bloße Erfindung kreativer Werber in Diensten eines rührigen Stadt- und Tourismusmanagements. „Dicht vor Berneck wird man durch einen Anblick überrascht, der zu den schönsten gehört, die wir gehabt haben.“ So schrieb schon Wilhelm Heinrich Wackenroder 1793 an seine Eltern. Zusammen mit Ludwig Tieck war er auf einer Reise von Erlangen durch das Fränkische und von Bayreuth aus in nördlicher Richtung unterwegs, als ihn ein wunderschöner Anblick überraschte: „Man fährt zwischen hohen Bergen in ein enges Tal hinein, worin das Städtchen in einem engen Raum eingeklemmt liegt. Über die Stadt erhebt sich der schwarze, spitze Kirchturm. Daneben steigt der kühnere Turm einer alten Burg wohl noch einmal so hoch in die Lüfte empor, verwegen streckt er sich zum Himmel hinauf. Der hohe, viereckige Turm war die Burg der Grafen von Orlamünde. Dahinter liegen noch die Ruinen der Burg der Grafen von Wallenrode mit kleinen Gewölben und der dazu gehörigen Kapelle.“

Die Reise von Wackenroder und Tieck ist als „Pfingstreise“, weil die beiden um Pfingsten 1793 zusammen unterwegs waren, in die Literaturgeschichte eingegangen. Das Studium hatte Ludwig Tieck für ein Semester nach Erlangen geführt, Wackenroder, schon als Bergwerksassessor tätig, besuchte den Schulfreund und gemeinsam machten sie sich vom 17. bis zum 28. Mai daran, das „Baireuthische“ Land zu erkunden. Da die beiden jungen Männer finanziell noch von ihren Familien abhängig waren, berichteten sie postalisch von den besuchten Orten, gerade die Bergwerke Oberfrankens finden in Wackenroders Texten wiederholt Erwähnung. Daneben finden sich dort schon Formulierungen und Motive, die später ganz typisch für die literarische Romantik werden sollten. Das oben stehende Zitat lässt ja tatsächlich eine romantische Kulisse erstehen: Wald, ein enges Tal und Ruinen werden gezeigt. Deshalb kann man diese Reisebeschreibungen und Reisebriefe als wegweisend für die literarische Romantik lesen. Mit den „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und den „Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst“ schufen die beiden Autoren später zentrale Texte der Frühromantik. Mit der „Pfingstreise“ fanden sie dafür die Landschaften und Wahrnehmungsmuster: rauschende Wälder, dazwischen kleine, alte Orte und ihre verfallenen Ruinen, plätschernde Bäche und zu alten Bergwerken gehörende Stollen. Natürlich planten Wackenroder und Tieck nicht die Erfindung einer neuen literarischen Epoche, als sie Berneck entdecken und von ihren Eindrücken schreiben. Aber so werden später immer wieder Erzähler auf kleine Orte blicken. Im engen Tal zwischen den steilen, bewaldeten Hängen gelegen werden die alten Fachwerkhäuser Bernecks vom Kirchturm überragt, der sich selber dem Burgturm unterordnet.

Was die Romantiker Ende des 18. Jahrhunderts so überrascht und erfreut hat, gibt es auch heute noch zu entdecken – immerhin pflegt die Stadt ihr kulturelles Erbe und bemühen sich die Bürger um Erhalt und Ausbau der Wanderwege um und durch den Ort, ganz so, als sollte jeder Wanderer der Empfehlung Tiecks folgen: „Man sehe in alle Straßen hinein, gegenüber auf den Bergen die alten Ruinen, rechts und links die schönsten, romantischsten Täler.“ Sei es nun, dass man dem Wilhelm-von-Humboldt-Weg von der Stadt aus ins Ölschnitztal folgt, oder aber zunächst die Ruinen der Burgen besichtigt und von dort den Blick über den Ort schweifen lässt, man kommt nicht umhin, Tieck zuzustimmen, der seinen Bericht enden lässt mit der Feststellung: „Diese Gegend hier ist die schönste, die ich auf der ganzen Reise gefunden habe.“

Ein anderer literarischer Wanderer stammte selbst aus der Umgebung, immerhin ist Wunsiedel nicht zu weit von Berneck entfernt, wo Jean Paul 1763 geboren wurde. Bevor der sich allerdings wieder in Oberfranken niederließ und sein Dichterstübchen, die Rollwenzelei in Bayreuth, in der Nachbarschaft fand, zog er oft genug zu Fuß durch die Gegend. Mit Pferden soll Jean Paul schlechte Erfahrungen gemacht haben und wenn man jenseits der Wege der Postkutschen unterwegs war, musste man selbst auf Schusters Rappen galoppieren – so die Überzeugung Jean Pauls. Insofern überrascht es nicht, dass man auch heute auf seinen Spuren wandern kann. Von Joditz, wo er einige Zeit seiner Kindheit verbrachte, führt der neu eingerichtete und vom FGV mitbetreute Jean-Paul-Wanderweg über Hof, Schwarzenbach a.d.S., Wunsiedel und Bischofsgrün nach Bad Berneck und von dort weiter nach Bayreuth. In Bad Berneck macht er - natürlich, möchte man sagen - am Jean-Paul-Platz, hoch oben über dem Ölschnitztal Station, so dass sich wie so oft auf dem Weg die Information über das Leben des Dichters mit dem Anekdotischen aus seiner Feder und dem Genuss der wunderschönen Landschaft verbinden lässt. Dem Anekdotischen muss auch zugerechnet werden, dass man dem in vieler Hinsicht modernen Jean Paul die Erfindung des Nordic Walking andichten möchte – der in der „Badereise“ von Dr. Katzenberger praktizierte Schlenkergang mag sicherlich die Arme und den Oberkörper fast so sehr beanspruchen wie die Beine und den Puls verstärken, von Stöcken und Anglizismen jedoch fehlt bei ihm jede Spur. Dafür sind es wiederum die bewaldeten Berge, die man von Bayreuth aus ersteigen muss, die Berneck fast verbergen, es aber umso reizvoller in die Umgebung betten, die Jean Paul immer wieder beschreibt. Sei es in der Vorrede zum „Quintus Fixlein“, wo er sich wünscht, die reisende Dame möge doch die rauchende Nabe am Rad ihres Reisewagens mit Nacktschnecken in Ermangelung von Öl schmieren – heutige oberfränkische Gärtner kennen diese Kreaturen noch immer! – sei es die Freude, im Ort selbst einzukehren und die Gastfreundschaft zu genießen, Berneck tritt in den Texten Jean Pauls als einladend und freundlich auf, so wie es heute noch seine Gäste empfängt. Insofern lohnt ein Besuch der kleinen, literarisch-romantischen Stadt sowohl als Ausflug von Bayreuth aus als auch als Etappe auf einem der durch die Stadt führenden Wanderwege. Neben Jean Paul, Tieck und Wackenroder waren auch schon die Markgräfin Wilhelmine, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Nikolaus Lenau und Joseph von Eichendorff angetan von der idyllischen Lage und dem romantischen Gepräge der Stadt. Die von den alten Fachwerkhäusern ausgestrahlte Gemütlichkeit, daneben die von den Ruinen getragene Ahnung wild-heroischer Geschichte und dazu der oberfränkische Wald – das „versteckte Paradies“ Berneck ist schon von den Dichtern der Romantik entdeckt und beschrieben worden, wie es sich heute noch besuchen lässt. Ob man selbst dabei zum Romantiker wird, kann an dieser Stelle nicht letztgültig geklärt werden, aber eins ist sicher: Wanderer, kommst du nach Berneck, findest du ein verstecktes Paradies, ganz so, wie die Literatur es empfahl.

© Maria Theresia von Werdenberg

 

Wanderer kommst Du nach Berneck...

 

Ansicht von Berneck

Kolorierter Stich nach einer Zeichnung von Ludwig Richter (1803-1884)